Tenuta San Guido
Die Familie Incisa della Rocchetta und die Entstehung von Tenuta San Guido
Die Wurzeln von Tenuta San Guido reichen tief in die italienische Adelsgeschichte. Mario Incisa della Rocchetta, geboren 1899 in Rom, stammte aus einer piemontesischen Familie mit reicher landwirtschaftlicher Tradition. Früh entwickelte er, während seines Agronomiestudiums in Pisa, eine visionäre Idee: Er wollte einen Wein schaffen, der sich nicht auf die traditionellen Rebsorten Italiens stützt, sondern sich an der Eleganz französischer Bordeaux-Weine orientiert.
Nach seiner Heirat mit Clarice della Gherardesca im Jahr 1930 zog Mario in die toskanische Maremma, wo er die ersten Cabernet Sauvignon-Reben auf dem kiesigen Boden der Hügel bei Castiglioncello di Bolgheri pflanzte – ein damals unerhörter Schritt, der später das Fundament für Sassicaia bildete.
Sein Sohn Nicolò Incisa della Rocchetta, geboren 1936, führte diese Vision weiter. Nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Genf brachte er ein unternehmerisches Denken in das Weingut ein, das nicht nur die Qualität der Weine, sondern auch das Zusammenspiel zwischen Mensch, Natur und Unternehmen weiterentwickelte.
Heute steht mit Priscilla Incisa della Rocchetta und ihren vier Cousins bereits die dritte Generation bereit, das Erbe fortzuschreiben. Gemeinsam repräsentieren sie ein Unternehmen, das tief in der Familientradition verwurzelt ist und gleichzeitig offen für die Anforderungen einer modernen Weinwirtschaft bleibt.
Zwischen Familienwerten und nachhaltigem Unternehmertum
Der Grundsatz „Preserve and Develop“ beschreibt die Philosophie des Hauses präzise: Bewahrung von Landschaft und Werten, gekoppelt mit kontinuierlicher Weiterentwicklung. Der heutige CEO Alessandro Berlingieri bringt diese Haltung auf den Punkt, wenn er betont, dass Ethik sich nicht in Worten, sondern in der täglichen Arbeit zeigen muss. Seine Ausbildung in Betriebswirtschaft an der Cà Foscari Universität in Venedig und seine langjährige Erfahrung im Management von Familienunternehmen ermöglichen es ihm, diese Philosophie unternehmerisch umzusetzen.
Gleichzeitig sorgt Carlo Paoli, Generaldirektor und Produktionsleiter, für die enge Verbindung zwischen Landwirtschaft, Ökologie und Qualität. Sein agrarischer Hintergrund, kombiniert mit umfangreicher Erfahrung im oenologischen Bereich, macht ihn zum handwerklichen Gewissen des Hauses. Die Entscheidungen im Weinberg und Keller beruhen nicht auf Trends, sondern auf einem tiefen Verständnis für das Terroir und einer langen Erfahrungsbasis. Die tägliche Praxis ist durchzogen von einem Streben nach handwerklicher Präzision – nicht um zu gefallen, sondern um der Landschaft und ihrer Ausdruckskraft gerecht zu werden.
Ein Terroir zwischen Meer und Geschichte
Die Tenuta liegt in einer Region, die von einer seltenen geologischen und klimatischen Komplexität geprägt ist. Zwischen dem Tyrrhenischen Meer und den Hügelzügen der Alta Maremma erstrecken sich rund 2.500 Hektar Land – ein ökologisches Kontinuum, das sich über 13 Kilometer vom Mittelmeer bis zur mittelalterlichen Festung Castiglioncello zieht. Das Herzstück der Weinberge liegt zwischen 60 und 400 Metern über dem Meeresspiegel auf überwiegend kiesigen, kalk- und tonhaltigen Böden. Diese geologischen Strukturen erinnern nicht zufällig an die Graves in Bordeaux, wie Mario Incisa bereits in den 1940er-Jahren feststellte.
Ein besonderes Element ist das Mikroklima: Die Hügel schützen die Weinberge vor Nordostwinden, während die Meeresbrise im Sommer für Kühlung sorgt. Gleichzeitig reflektiert das Licht des Meeres zurück in die Rebzeilen, was die Reife der Trauben unterstützt. Das Zusammenspiel aus Höhenlage, Bodenbeschaffenheit und Klima schafft einen natürlichen Resonanzraum, in dem die Reben ihre feinste Aromatik entwickeln können. Diese harmonische Beziehung von Landschaft und Landwirtschaft ist der wahre Reichtum von Bolgheri – eine Topographie, die nicht nur Weine hervorbringt, sondern Kulturlandschaft in ihrer höchsten Ausprägung darstellt.
Sassicaia, Guidalberto und Le Difese
Mit Sassicaia, dem Aushängeschild der Tenuta, begann 1968 eine neue Epoche im italienischen Weinbau. Der Name leitet sich von dem steinigen Boden („sassi“) ab, auf dem der Wein wächst – ein Symbol für Herkunft und Widerstandskraft. Ursprünglich nur für den privaten Konsum gedacht, wurde der Wein nach jahrzehntelanger Verfeinerung erstmals kommerziell angeboten. Heute gilt Sassicaia als einer der bedeutendsten Rotweine weltweit und ist exklusiv unter der DOC Bolgheri Sassicaia klassifiziert – eine Anerkennung für das einzigartige Terroir und die selektive Lagenwahl der Tenuta.
Im Jahr 2000 folgte Guidalberto, benannt nach Guidalberto della Gherardesca, einem visionären Agrarier des 19. Jahrhunderts. Dieser Wein ist eine Cuvée im Bordeaux-Stil, die mit Merlot und Cabernet Sauvignon einen weicheren, zugänglicheren Charakter aufweist. Als Hommage an die Geschichte des Anwesens trägt das Etikett das Oratorium von San Guido – ein Zeichen der tiefen Verwurzelung im kulturellen Erbe der Toskana.
Der dritte Wein, Le Difese, kam 2002 auf den Markt und vereint Cabernet Sauvignon mit Sangiovese. Sein Name verweist auf die Stoßzähne des Wildschweins, ein Symbol für Ursprünglichkeit und Naturverbundenheit. Le Difese steht für eine zugängliche, ehrliche Interpretation des toskanischen Charakters – ein Wein mit Struktur und Balance, der seine Herkunft nicht verleugnet.
Sassicaia und seine Ausstrahlung
Die internationale Anerkennung von Tenuta San Guido ist eng mit der Entstehung des Sassicaia verbunden. Was als Experiment begann, wurde von Kritikern wie Luigi Veronelli früh als revolutionär erkannt. Seine Beschreibung des Weins als „dichtes, zurückhaltendes Bouquet von seltener Eleganz“ unterstreicht die stilistische Eigenständigkeit des Sassicaia, die sich konsequent abseits des damals vorherrschenden toskanischen Sangiovese-Paradigmas bewegte.
Die Bedeutung des Weins geht über seinen geschmacklichen Wert hinaus. Master of Wine Serena Sutcliffe und David Peppercorn bezeichneten ihn als „eine der größten Weinkreationen des Jahrhunderts“. Diese Aussagen reflektieren nicht nur Qualität, sondern auch die kulturelle Tragweite des Weines als Impulsgeber für die DOC Bolgheri und die Etablierung der Supertuscans als ernstzunehmende Kategorie im Weltweinbau.
Heute genießt das Weingut eine Reputation, die weit über Italien hinausreicht. Die Weine des Hauses sind in den bedeutendsten Weinkellern der Welt vertreten, dienen als Studienobjekte für Önologen und sind gleichzeitig Ausdruck einer Haltung, die Handwerk, Respekt und Weitsicht miteinander verbindet.