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Das Piemont

Große Weine, Pasta & duftende Knollen

Veröffentlicht am 05. April 2018
Wer es einmal ins Piemont geschafft hat, kommt immer wieder. Zwar findet man das Hügelland rund um die Hauptstadt Turin nicht auf den ersten Seiten der Tourismuskataloge, dort werden meist Zedern auf wogenden Hügeln der Toskana oder blühende Reben am Gardasee abgebildet. Doch das dürfte den Piemontesern gerade recht sein. Die Piemonteser, die Einheimischen am Fuße der Berge (Pié de Mont), sind gerne für sich – und trotzdem ausgesprochen gastfreundlich!

Turin, Copyright: istock.com

Wein-Geschichte

Die Anfänge des Weinbaus gehen auf die keltischen Völker der Ligurer und Tauriner zurück. Während die Ligurer dem gleichnamigen Landstrich ihren Namen verliehen, haben sich die Tauriner in der regionalen Metropole Turin verewigt. Dass die Hauptstadt nur 100 Kilometer von der Grenze zum französischen Nachbarn entfernt ist, hatte zur Folge dass der Adel Turins und des Umlands lange Zeit mit Savoyen verbandelt war. So kam das Piemont erst im Jahre 1861 zum vereinigten Königreich Italien und war über Jahrhunderte hinweg französisch geprägt. Das gilt auch für den Weinbau.

Italien ist bekannt für seine Vielfalt an autochthonen, also regional begrenzten Rebsorten, und so verhält es sich im Piemont auch. Bonarda, Brachetto, Dolcetto, Freisa, Grignolino, Nebbiolo, Malvasia und Ruché seien für die roten Sorten genannt, Arneis, Cortese, Erbaluce und Moscato Bianco für die weißen. Weltberühmt geworden ist das Piemont vor allem mit zwei Weinstilen, die beide auf den Vorzügen der besten, aber auch schwierigsten Rebsorte des Piemonts basieren: dem Nebbiolo. Dieser Wein ist der Pinot Noir des Piemonts, eigenwillig, divenhaft, oft sperrig und unnahbar in der Jugend, von großer Tiefe im Alter. Seine schönsten Ausdrucksformen hat der Nebbiolo als Barbaresco und Barolo erhalten. Und auch diese beiden Weinstile entstanden unter französischem Einfluss. Es war ein Önologe namens Oudart, der von der Marquesa de Barolo, Giulietta Falletti im Jahre 1850 ins Piemont gerufen wurde. Er erkannte das große Potenzial des Nebbiolo und experimentierte damit, die Sorte trocken auszubauen, wo vorher fast ausschließlich süße Weine entstanden waren. Dabei musste er das Problem überwinden, dass der Wein in der kalten Jahreszeit regelmäßig die Gärung stoppte. Da er das Problem aus der ebenfalls kühlen Champagne kannte, passte er den Gärungsprozess und den Temperaturverlauf an. Für seine Experimente stellte damals König Viktor Emanuel II. höchstpersönlich sein Jagdhaus Fontanfredda samt Weinbergen bei Serralunga d’Alba zu Verfügung, was möglicherwiese der entscheidende Grund dafür war, dass man seitdem den Barolo als den „Wein der Könige – König der Weine“ bezeichnet.

Mit dem aufsteigenden Ruhm von Barolo und Barbaresco, von denen die besten Exemplare zu den großen Weinen der Weinwelt zählen, haben auch die anderen Sorten des Piemonts profitiert. Ein Beispiel ist der Gavi, der aus der Cortese-Traube stammt und mit zu den beliebtesten und auch bekanntesten Weinen der Hügelregion zählt.

Speisen am Rande der Völlerei

Wer im Piemont Pizza erwartet, sieht sich getäuscht. Das Piemont ist das Land des slow food. Hier wird nicht gegessen sondern gespeist. Und das gerne mit einer Vielzahl von Gängen über Stunden hinweg. Dabei findet die Piemonteser Küche eine phantastische Balance aus alpin bäuerlicher Küche und haute cuisine. Sie schöpft dabei aus einem schier unbegrenzten Fundus regionaler Produkte von höchster Qualität. Das beginnt mit dem weißen Albatrüffel und den großen Vorkommen von Steinpilzen und hört irgendwann, Stunden später bei Variationen von Haselnüssen auf, für die das Piemont ebenfalls bekannt ist.


Trüffel aus dem Piemont – Copyright: istock.com

Antipasti

Zunächst werden die Vorspeisen gereicht. Es gibt sie kalt und warm und vor allem reichlich. Gerade die fleischlastigen Vorspeisen wie der weiße, leicht gepfefferte Speck namens LardoCoppa und Pancetta verbinden sich dabei hervorragend mit den Weißweinen der Region. Ein besonderer Tipp? Vitello tonnato mit Gavi ist eine sich perfekt ergänzende Kombination. Die Wurstplatten werden im Piemont gerne mit Paprikaschoten in Knoblauch- und Sardellen-Öl (bagna caoda) kombiniert. Unter den warmen antipasti sind vor allem die aus der Langhe stammenden caponèt berühmt. Die Zucchiniblüten werden natürlich ebenfalls mit Fleisch gefüllt – das Piemont ist definitiv kein Land für Vegetarier – und außerdem mit Kräutern, Eiern, Knoblauch und Parmesan.

Primi

Wer mit den antipasti noch nicht warm geworden ist, dürfte spätestens bei den primi dahinschmelzen. Diese bestehen traditionell aus mindestens einer, meist aber mehreren Pasta-und Risotto-Kombinationen. Ravioli (meist agnolotti genannt) werden gerne mit Braten, Kräutern, Ricotta oder Steinpilzen gefüllt. Tajarin genannte Bandnudeln verfügen über extra viel Ei im Teig und werden mit Mengen an gehobeltem Trüffel und Butter serviert. Doch Vorsicht ist geboten, denn wir sind noch immer beim ersten Gang! Und außerdem gibt es noch ein wenig Risotto mit Reis aus der Gegend von Vercelli. Zu den primi empfiehlt sich ein Dolcetto d’Alba oder ein Barbera d’Asti. Beide Rotwein sind relativ sanft und dunkelfruchtig.

Hauptgang

Während sich die Neulinge der Piemonteser Küche möglicherweise jetzt erschöpft abwenden und nach dem ersten Grappa verlangen, wenden sich die Erfahrenen Genießer dem Hauptgang zu. Hier dominieren lang geschmorte Fleischgerichte. Kaninchen in Roero Arneis gegart. Wild oder Stücke von alten Rinderrassen in Barbera oder Barolo geschmort und serviert mit Polenta, dem Maisgrieß der Region. Hier kommen die großen Weine ins Spiel, deren Nebbiolo-Trauben rund um La Morra, Barolo oder Serralunga wachsen. Diese Weine greifen in beeindruckender Weise die typischen Düfte der Region auf. Das Unterholz der Wälder kurz nach dem Morgennebel, die Trüffel und Steinpilze, Kräuter und eine dunkle Frucht, die wunderbar zur Landschaft und natürlich zum Essen passt.


Copyright: istock.com

Käse

Wenn Käse den Magen schließt, dann sollten dies Käse aus der Region um Cueno tun. Diese Käse sind gar nicht so bekannt, doch von oft herausragender Qualität. Der junge Toma, die runde Kombination aus Schafs- und Kuhmilch namens Robiola, der aromatische Seirass oder der in Grotten gereifte Bergkäse namens Castelmagno, der manchmal Blauschimmel ansetzt und manchmal auch nicht. Man kann den Käse übrigens mit Cognà begleiten, einer Marmelade aus Weintrauben, Nüssen, Birnen und Quitten.


Copyright: istock.com

Dolce

Dolce passen natürlich immer. Und Dolce können auch die Piemonteser, zumal die berühmtesten Haselnüsse der Welt im Piemont wachsen. Neben Haselnüssen in allen Variationen, vor allem aber als Kuchen kann man beispielsweise Bônet bestellen, einen aus Amaretti hergestellten Pudding. Oder man entscheidet sich für Zabaglione, die aus Eigelb und Moscato gerührte, warme Weinschaumcrème, die ebenfalls aus dem Piemont stammt und mit einer besonderen Form von Wein begleitet wird. Der Piemonteser trinkt zu diesen Köstlichkeiten süßen Schaumwein. Und der Moscato d’Asti oder Asti Spumante, der dann serviert wird, ist meilenweit entfernt von jenen Supermarktabfüllungen, die man direkt mit Kopfschmerz in Verbindung bringt. Die Kombination mit Zabaglione öffnet das Herz – falls es nicht schon weit geöffnet ist. Und spätestens mit den dolce dürfte man der Piemonteser Küche hoffnungslos verfallen sein.

Leider habe ich nun großen Appetit und könnte mich direkt in die Küche stellen. Allein, mir fehlen hier und jetzt die Zutaten. Also werde ich mich mit einem Glas Gavi begnügen, oder besser: vergnügen und mich ins Ristorante Vittoria in Tigliole träumen.

Christoph Raffelt

Christoph lehrt als Dozent an der Deutschen Wein- und Sommelierschule Hamburg. Er schreibt und podcastet bereits seit mehr als acht Jahren in seinem privaten Blog originalverkorkt.de und verfasst Weinkritiken und Artikel für verschiedene weitere Medien. Für seine Reihe über die Champagne der Winzer und unabhängigen Häuser wurde er 2014 mit dem Wine Online Award für den besten Weintext des Jahres ausgezeichnet