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Bordeaux im Wandel der Zeit

Erfahren Sie, wie sich das bekannte Weinbaugebiet Bordeaux neu erfindet.

Veröffentlicht am 05. Oktober 2018

Die alte Dame erfindet sich neu

Die Vorfreude war groß auf dieses Wochenende. Direkt nach der Ankunft am Gare Saint-Jean geht es ins Hotel. Altbau aus dem 18. Jahrhundert. Im Zimmer wird die Krawatte neu gebunden und der Nadelstreifenanzug entfusselt. Die Budapester werden ausgepackt und der passende schwarze Gürtel umgebunden. Denn »No brown in town after six« heißt es so schön und hier ganz besonders. Das Taxi wartet bereits vor der Tür und kommt wenige Minuten später vor dem Restaurant zum Stehen. Champagner kommt auf den Tisch, die Serviette auf den Schoß. Auch die Vorspeise lässt nicht lange auf sich warten. Alles sehr formidabel. Selbstredend begleitet von einer Flasche rotem Bordeaux. Ausgewählt nach 15-minütiger Beratung durch den äußerst kapablen Sommelier. Ein Schloss, Serifenschrift und die Appellation zieren das Etikett. 1855er Klassifikation natürlich, denn ehrwürdig muss es hier zugehen. Wie der ganze Ausflug überhaupt. Was steht denn an die nächsten Tage? Museum, Verkostung auf einem Château in Pauillac, das einzig wahre Savoir-vivre also.

So zumindest hätte ein Weinreisender 1980 sein Wochenende in Bordeaux verbracht. Wer die Flussmündung am Atlantik heute besucht wird eine gänzlich andere Welt entdecken können. Die Stadt hat sich gewandelt. Und mit ihr auch das wohl bekannteste Weinanbaugebiet der Welt. Man ist mit der Zeit gegangen im Bordelais. „Musste man auch“, werden Zyniker jetzt anbringen. Denn immer häufiger wurde Bordeaux in den letzten Jahren als unpersönlich, altmodisch und überteuert wahrgenommen. Die Exporte gehen seit einigen Jahren zurück und die Beliebtheitswerte sinken. Besonders bei jungen Weintrinkern. Doch immer mehr junge Winzer, Händler und Sommeliers setzen sich zum Ziel, das zu ändern. Nicht wenige stammen aus den alteingesessenen Familien, die das Bild Bordeaux‘ seit Generationen prägen. Mit einem Abschluss der Université de Bordeaux in Oenologie in der Tasche bereisten sie Welt. Um dann zurückzukehren und Wein zu machen, wie sie ihn gerne trinken und nicht wie er 1980 sein musste.

Die Geschichte des Weines in Bordeaux ist lang. Protagonisten sind Franzosen, Niederländer, Deutsche und Engländer. Kaufleute, Seefahrer und Adelige. Ein Kapitel muss man sicherlich erzählen: Für die Weltausstellung 1855 wurden 60 Weingüter aus Graves und dem Médoc klassifiziert. Vier davon schafften es in die höchsten Weihen. Die Premiers Grand Crus, die bis heute nicht vom Thron gestoßen wurden. So viel zur Geschichte und zurück zur Gegenwart.

Denn immer mehr Weingüter gibt es heute, die jenseits von Spitzenklassifikation großartige Weine zu günstigen Preisen herstellen. Am Rebsortenspiegel der Region hat sich wenig geändert. 88% sind mit roten Rebsorten bepflanzt. Links der Gironde, im Médoc und Haut-Médoc überwiegt Cabernet Sauvignon. Rechtsseitig, wo besonders Saint-Émillion und Pomerol zur Bekanntheit beitragen, wird mehr Merlot angebaut. Weißwein findet sich vor allem im Hinterland der Stadt in Graves und im Entre-Deux-Mers. Für edelsüße wie trockene Weiße sind Sémillon und Sauvignon Blanc die wichtigsten Rebsorten.

Um für günstiges Geld wunderbare Weine zu finden, muss man den breitgetretenen Pfad nur kurz verlassen. Von der Universität in Bordeaux strömt ständig Nachwuchs in die Keller. Nachwuchs mit Qualitätsanspruch – ganz unabhängig der Klassifikation ihres Châteaus. Gerade zwischen 10€ und 25€ muss man vergleichbar gute Weine woanders lange suchen. Und auch stilistisch tritt man nicht auf der Stelle. Bei allem ehrlichen Respekt vor den großen Bordeaux der 80er: von der Modernisierung der Kellertechnik und der Weiterentwicklung des Stils profitieren die meisten Weine. Ein Bordeaux muss heute nicht mehr nach altem Koffer oder Pferdeschweiß schmecken. Auch die Vorstellung, das Bordeaux immer entweder rot oder süß ist wandelt sich mit der Zeit. Mit der Initiative »there‘s so much to discover« wirbt ansässige Weinbauverband für Rot-, Weiß- und Roséwein gleichermaßen. Im Kern der Initiative steht Spaß am Wein. Das Savoir-Vivre der Stadt soll auf den Wein übertragen werden.

Und vor Savoir-Vivre – der französischen Version des Dolce Vita – strotzt Bordeaux nur. Fast schon unglaubwürdig schön wirkt die Innenstadt. Mehrstöckige Bauten aus dem 18. Jahrhundert, Flusspromenaden und Parkanlagen. Auch wegen des einzigartigen Stadtbildes wurde Bordeaux zum Top-Place-to-Visit des Reiseführers Lonely Planet auserkoren. Im Kontrast zur pittoresken Altstadt wurde 2016 die Cité du Vin eröffnet. Ein eindrucksvolles Weinmuseum in futuristischem Baustil. An irgendetwas zwischen Ufo und Dekanter erinnert es von außen. Innen soll es Geschichte und Geschmack des Weines auf spielerische Art und Weise vermitteln. Am belebtesten ist es rund um den Place de la Bourse. Der ist, wenngleich sehr touristisch, architektonisch einfach wunderschön. Doch schön sind viele Städte. Was Bordeaux so besonders macht sind auch die Viertel etwas abseits der Innenstadt. Ganz im Norden findet sich Le Bacalan. Der ehemalige Hafen bot viel Platz und günstigen Wohnraum als Bordeaux langsam teuer wurde. Viele junge und jung gebliebene entdeckten das ehemalige Arbeiterviertel für sich. Heute ist es das hippe Quartier Bordeaux‘. Ähnlichen Flair findet man in Saint-Michel. Es ist so etwas wie der kulturelle Schmelztiegel Bordeaux. 60 Nationen und jung wie alt teilen sich dieses Viertel. Neben einigen Trödelmärkten und vielen Cafés findet auch regelmäßig der wohl eindrucksvollste Lebensmittelmarkt hier statt. Der Marché des Capucins bietet fast alles was den Bordeaux-Urlauber glücklich macht. Frische Austern, aromatisches Obst und Gemüse, ein günstiges Mittagessen.

Besonders schön kann man sich hier die Sonnenuntergänge anschauen. Nach zwei Tagen Bordeaux genießt ein junges Paar die letzten Stunden Urlaubssonne. Auf dem Tisch ein französisch-nordafrikanisches Nationalgericht. Tabouleh mit Rosinen, Olivenöl und allerhand Gemüse. Man lässt die Tage Revue passieren. Mit dem Wassertaxi raus aus der Stadt zum Schwimmen. Die Bar, in der den ganzen Abend Manu Chao lief. Und natürlich schmeckt der Wein und passt auch jetzt überraschend gut zum Tabouleh. Er ein Glas Entre-Deux-Mers und sie Rotwein aus Saint-Émillion. Kirschig, voll, kräutrig und ein bisschen Brombere. Deuxième Cru, Premier oder Grand Cru? Das ist egal.

REDAKTIONSTEAM
Das Redaktionsteam des Wein Magazins besteht aus den Mitarbeitern des Hanseatischen Wein & Sekt Kontors, die in den unterschiedlichsten Bereichen tätig sind. Hier schreiben Wein-Einkäufer, Mitarbeiter des Marketings und studierte Oenologen. Aber auch Kolleginnen und Kollegen, die einfach ganz viel Spaß am Wein haben.