Ste Michelle Wine Estates

Es kann heiß werden in Washington. Temperaturen in the hundreds, also über 100° Fahrenheit sind keine Seltenheit im Sommer. Europäisch gedacht sind das über 37° Celsius, was eine Vorstellung hervorruft, welche klimatischen Bedingungen im Nordwesten der USA herrschen. Obwohl das Anbaugebiet Washington State nur wenig südlicher liegt als das Burgund kann man hier kein Cool Climate Gebiet erwarten. Das kontinentale Klima sorgt für heiße trockene Sommer. Lediglich im meernahen westlichen Rand ist es milder. Doch wer Washington State gleich in Sippenhaft nimmt und fette Alkoholbomben annimmt, irrt! Denn auf einen heißen Sommertag folgt stets eine recht kühle Nacht. Die meisten Aromen werden erst durch ebendiesen Temperaturunterschied exprimiert – so nennt der Önologe das. Gleichzeitig liegt die Säure besonders bei den Rotweinen höher als man das in solch einer Hitze annehmen würde. Die wichtigsten Rebsorten sind Cabernet Sauvignon, Merlot, Chardonnay und Riesling. Eine geringere Menge steht hinter dem Syrah, der allerdings häufig die besten Weine Washingtons hervorbringt. Die Rebsorte passt gut zum Profil der Region. Fülle und Finesse lassen sich auf einem heißen Standort mit Syrah ideal vereinen. Ste. Michelle ist gleichzeitig Pionier und Zugpferd der Region. Sowohl das Stammhaus in Woodinville als auch dessen zahlreiche Schwesternweingüter stehen für Spitzenweinbau. Dabei kann man die Dachmarke Ste. Michelle fast als Synonym für Weinbau in Washington State begreifen. 

Neben den eigenen Weingütern arbeitet Ste. Michelle mit renommierten Häusern aus dem Ausland zusammen. Sie kommen aus dem Piemont, der Champagne, von der Mosel und von überall, wo sonst guter Wein wächst. Zum Teil ist der Vertrieb der Weine Gegenstand der Partnerschaft. So hat das Barolo-Weingut Prunotto seinen Weg in die Ste. Michelle-Community gefunden. Aber auch komplett neue Weine kreiert man in Zusammenarbeit mit anderen Top-Weingütern. Gemeinsam mit Antinori entstand der Col Solare, der in Italien wohl Super Tuscan genannt werden würde. Der, auf Deutsch, Strahlende Hügel, ist ein reinsortiger Cabernet Sauvignon aus dem Columbia Valley, Washington. Ohne Umschweife wird hier Qualität in die Flasche gebracht. Zwei Kellermeister, eine Rebsorte, eine Lage, ein Wein und ein Anspruch: keine Kompromisse. 

Ähnlich aufgebaut ist das Projekt Tenet Wines. Gemeinsam mit dem Franzosen Michel Gassier ist die Vision entstanden, einen Syrah nach dem Vorbild der großen Rhône-Weine zu keltern. Nicht zuletzt aufgrund des Klimas, das Washington auszeichnet. Auch an der Rhône müssen die Syrah-Reben im Sommer mit wenig Wasser auskommen. Zum Schutz wird die Beerenhaut dicker, die im Keller dann Aromen und Tannine an den Wein abgibt. Aus der Vision wurde Wirklichkeit. Neben fein-würzigen Spitzen-Syrah, schmückt ein Blend mit Grenache und Mouvèdre das Portfolio. 

Eine Kooperation der besonderen Art besteht zwischen Ste. Michelle und dem Moselaner Dr. Ernst Loosen. Seit 1999 wird der Eroica produziert, ein deutsch-amerikanisches Riesling-Crossover in off-dry. Doch, um die Besonderheit zu verstehen, muss man früher ansetzen. 

1974 erregte Ste. Michelle Aufsehen, als das Weingut das renommierte Riesling Blind Tasting der Los Angelos Times gewann. Das war ein Paukenschlag für die Szene. Denn weder traute man den USA, noch dem heißen Washington große Rieslingkompetenz zu. Nun war das Kind aber in den Brunnen gefallen. Und so wurde Riesling immer mehr zu einer wichtigen Rebsorte in Washington State. Ste. Michelle baute seinen Ruf, ein Rieslingversteher zu sein, weiter aus. Einige der gefragtesten Weine dieser Rebsorte stammen aus den Kellern des Weingutes. Da kam eine Zusammenarbeit mit Rieslinglegende Ernst Loosen wie gerufen. Eroica nennt sich der Wein, den die beiden ins Leben gerufen haben. Amerikanisch-pathetisch benannt nach Beethovens Dritter. Der größte Teil der Produktion entfällt auf klassische off-dry Rieslinge mit feinem Frucht-Säure-Spiel. Doch auch eine Ice Wine findet sich im Sortiment. Das erinnert kurz an die Eifelturmreplikate Las Vegas‘, ist aber nicht weniger als der wohl beste Süßwein der USA. Ein Süße-Säure-Spiel, das bis Bernkastel a.d. Mosel seinesgleichen sucht!

Ste. Michelle genießt für jedes seiner Niederlassungen höchste Anerkennung. Der großartige Ruf verteilt sich dabei auf viele Schultern. Kein Glied der Perlenkette wird glanzlos auf den Weinmarkt entlassen. Als Türöffner erfüllen dennoch die ganz großen Namen ihren Zweck. Ste. Michelle gelingt es dabei als Riesenkellerei und gleichzeitig als Premium-Lieferant wahrgenommen zu werden. 

Hugh Johnson bezeichnet es als würdiges Flaggschiff für den Weinbau im gesamten Nordwesten. Die Rebsorten-Weine zählten zu den feinsten der ganzen Region. Das Aushängeschild des Stammhauses Château Ste. Michel war Robert Parker ganze 91 Punkte wert. Den Cabernet Sauvignon Cold Creek Vineyard 2011 beschreibt er als eindrucksvoll mit dunkler Frucht, krautigen Aromen und leichtem Lakritzton. 

Ein großer Jahrgang erwartet uns mit dem 2016er der Ste. Michelle-Tochter Stag‘s Leap Wine Cellars. Der Cask 23 wird ein Aroma von frisch gestoßener schwarzer und roter Johannisbeere, geröstete Nüsse und Trüffel zugeschrieben. Den Stag‘s Leap Wine Cellars attestiert Hugh Johnson eine verblüffende Ähnlichkeit zu den feinen Bordeaux. Während die kalifornischen Cabernets häufig durch Wucht und Fülle auffallen, glänzt dieser durch Finesse und Eleganz.