image

Wein und Tomaten

San Marzano ist eine Berühmtheit – für Primitivo, Flaschentomaten und rote Erde

Veröffentlicht am 23. März 2018
Die Region Apulien mit ihrer Hauptstadt Bari liegt im tiefen Süden, dem Mezzogiorno Italiens. Sie wird durch das Gargano-Gebirge am Sporn und durch den Absatz des „Stiefels“ begrenzt. In Apulien, dem Land der Osker, wie der ursprüngliche Volksstamm genannt wurde, wird seit über 3.000 Jahren Weinbau betrieben. So lange, wie sonst nur im nahe gelegenen Sizilien. Es waren die Griechen und Phönizier, die die ersten Reben brachten und schließlich die Römer, die den Weinbau massiv forcierten, da sie den Wein aus Tarentum sehr schätzten.

Der Aufstieg Apuliens

Doch Apulien, überhaupt der Süden Italiens, war lange das Armenhaus des Landes. Die Produkte wurden nur selten wirklich geschätzt, die Produktionsmethoden waren archaisch, die Wirtschaft und Politik gefährdet durch mafiöse Strukturen. Außerdem fehlte schlicht das Geld, um im nationalen und internationalen Weingeschäft mithalten zu können. Daran hat sich zwar nicht alles, aber doch vieles geändert. Nicht zuletzt deshalb, weil wichtige Kritiker wie beispielsweise Robert Parker irgendwann den Wert der vielen autochthonen süditalienischen Rebsorten entdeckt haben. Aleatico, Bombino Nero, Malvasia Nera, Negroamaro, Primitivo, Somarello, Uva di Troia, Fiano, Falanghina oder Impigno sind nur einige, die vor zwanzig Jahren noch kaum jemand bekannt waren. Mit den ersten hohen Bewertungen kam jedoch die Aufmerksamkeit und endlich auch die Möglichkeit, das Potenzial der Trauben und des Terroirs voll zu nutzen. Heute verfügt Apulien über ein Achtel der gesamten italienischen Weinbaufläche und baut mehr Wein an als Deutschland als Ganzes.


Foto © Cantine di San Marzano

Manduria und der Primitivo

Ein Stück dieser großen Fläche gehört zur Appellation Primitivo di Manduria in der Provinz Brindisi. Sie ist – der Name sagt es bereits – ganz der vorherrschenden Rebsorte Primitivo vorbehalten, die ebenfalls in den letzten Jahrzehnten eine steile Karriere hingelegt hat. Und das, obwohl aus Marketinggesichtspunkten der Name eher kontraproduktiv ist. Wer will schon eine „primitive“ Rebsorte im Glas haben? Trotz dieses Namens-Nachteils, hat sie sich mit ihren Vorzügen durchgesetzt.
Sie stammt, im Gegensatz zu fast allen anderen süditalienischen Rebsorten, nicht ursprünglich aus Süditalien und hat auch keine griechischen Wurzeln. Primitivo ist identisch mit der Sorte Tribidrag, die in Kroatien wächst und wahrscheinlich im 17. Jahrhundert nach Apulien kam. Dort hat sie der Amateurbotaniker Francesco Filippo Indellicati (1767-1831) in einem Weinberg entdeckt, sie beobachtet und ihr auf Grund der frühen Reifung den Namen Primitivo, die Erstreifende, gegeben. In den 1960er Jahren schließlich wurde klar, dass die Sorte ebenfalls identisch ist mit der kalifornischen Zinfandel-Rebe. Das wollten die Kalifornier, die diese Sorte als uramerikanisch ansahen, zunächst nicht wahrhaben, doch haben DNA-Analysen dies zweifelsfrei bestätigt. Trotzdem haben sich die Rebsorten in ihren drei Heimatgebieten unterschiedlich entwickelt.


Foto © iStock.com

Terra Rossa, die rote Erde Apuliens

In Apulien, besonders in Manduria, profitieren die Winzer von vielen alten Weinbergen, in denen der Primitivo zwar nur geringe Erträge gibt, dafür aber einen sehr konzentrierten, komplexen Saft erzeugt. Markant wird die Rebsorte rund um San Marzano auch dadurch, dass die Böden sehr eisenhaltig und dadurch rot gefärbt sind. Eisen ist wichtig für die Rebstöcke, denn ein hoher Eisenanteil fördert die Photosynthese. Die Eisenoxyde bringen jedoch auch eine markante Note in die Weine. Neben den roten Böden von San Marzano sind die Terra Rossa Böden des australischen Coonawarra bekannt, die Karst-Gebiete an der italienisch-slowakischen Grenze, das Rotliegende in Rheinhessen und nicht zuletzt der Crasse de fer Boden im Pomerol.


Foto © Cantine di San Marzano

Wein und Tomaten

Diese Böden gefallen jedoch nicht nur den Weinbauern, sondern auch den Erzeugern einer besonderen Tomaten-Sorte. Es sind die Flaschentomaten von San Marzano, die, wie der Wein, eine eigene Appellation erhalten haben: Pomodoro San Marzano dell’Agro Sarnese Nocerino DOP.
So wie es bei den besten Primitivo-Trauben von alten Rebstöcken auch der Fall ist, werden die San-Marzano-Tomaten von Hand geerntet. Das ist aufwendig und teuer, auf Grund der zarten Beschaffenheit der Sorte jedoch nicht mechanisch zu bewerkstelligen. Deshalb war der Anbau irgendwann unrentabel und unpopulär geworden. Erst die Vereinigung slowfood konnte die Sorte vor dem völligen Verschwinden retten und machte die intensive Fruchtigkeit wieder populär – zumal die Tomate auch beim Konservieren kaum etwas von ihrem markanten Aroma verliert. Viele Köche sind davon überzeugt, dass San-Marzano-Tomaten die einzigen Tomaten sind, die auf eine echte, neapolitanische Pizza gehören.
Doch was wäre eine solche Pizza ohne ein Glas Primitivo von alten Reben aus San Marzano? Der Sessantina ist genau solch ein Wein. Er stammt von Jahrzehnte alten Weinbergen voll roter, eisenhaltiger Erde. Er ist das Aushängeschild der Winzer von San Marzano, die diese Sorte kennen wie sonst niemand. Das Ergebnis ist ein dunkler, fruchtiger und saftiger Rotwein, der Süditalien und seine reichhaltige kulinarische Geschichte repräsentiert wie kaum ein Wein sonst.

Titelbild: © Cantine di San Marzano

Christoph Raffelt

Christoph lehrt als Dozent an der Deutschen Wein- und Sommelierschule Hamburg. Er schreibt und podcastet bereits seit mehr als acht Jahren in seinem privaten Blog originalverkorkt.de und verfasst Weinkritiken und Artikel für verschiedene weitere Medien. Für seine Reihe über die Champagne der Winzer und unabhängigen Häuser wurde er 2014 mit dem Wine Online Award für den besten Weintext des Jahres ausgezeichnet