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Was ist der biologische Säureabbau

Erfahren Sie alles über den biologischen Säureabbau.

Veröffentlicht am 08. August 2012
Die Metamorphose eines Traubensaftes zu Wein stellte über Jahrtausende ein unergründliches Geheimnis dar. Nicht nur die Ursachen der eigentlichen (alkoholischen) Gärung waren bis fast ins neunzehnte Jahrhundert nebulös. Auch die vielfachen Veränderungen, die ein Wein während seiner Reife- und Alterungsperiode vollzieht, erschienen den Menschen mystisch.

Ein rätselhaftes Phänomen: Biologischer Säureabbau (BSA) im Wein

Die natürliche Säureverringerung während der Reifephase ist ein bemerkenswertes Ereignis, das als biologischer Säureabbau (BSA) bekannt ist. Über viele Jahrhunderte hinweg stellte dieser Effekt Winzer vor ein Rätsel. In den ersten Frühlingsmonaten nach der Ernte beginnt eine Art "Zweitgärung", die dem bereits vergorenen Wein neues Leben einhaucht. Dabei steigt die Temperatur im Fass erneut an, und das Wasser im Gärröhrchen gerät erneut in Bewegung. Parallel dazu vollziehen sich geschmackliche Veränderungen: Die Säure nimmt ab, der Wein wirkt plötzlich weicher und runder, während sich auch das Duftprofil wandelt.

Entdeckung der mikrobiologischen Ursache

Der Weg zur Enthüllung des biologischen Säureabbaus begann bereits im Jahr 1890, als Hermann Müller-Thurgau, der Züchter der gleichnamigen Rebsorte, vermutete, dass Bakterien für die Säureverringerung verantwortlich sein könnten. Die endgültige wissenschaftliche Bestätigung dieser Theorie erfolgte um 1900 durch Alfred Koch. Besonders Milchsäurebakterien der Gattungen Lactobacillus und Pediococcus spielten dabei eine Schlüsselrolle. Diese Mikroorganismen wandeln die oft als "spitz" empfundene Apfelsäure des Weins in die weichere Milchsäure um. Dabei ändert sich nicht nur der Geschmack, sondern auch die Gesamtmenge der Säure. Die nützlichen Bakterien verwandeln jedes Gramm Apfelsäure in lediglich 0,6 g Milchsäure, während der Rest größtenteils als CO2 entweicht.

Einfluss auf den Wein und dessen Entwicklung

Die Auswirkungen des biologischen Säureabbaus auf den Wein sind vielfältig. Die durch diesen Prozess hervorgerufene Veränderung verleiht dem Wein eine weichere, runde und fülligere Geschmacksnote. Besonders Rotweine profitieren von diesem Effekt. Die Stabilität der roten Farbe in solchen Weinen wird erhöht, und auch mikrobiologisch gesehen, sind sie stabiler, was eine geringere Schwefelung erforderlich macht. Die historische Spontaneität dieses Prozesses kann auf die wärmeliebenden Mikroorganismen zurückgeführt werden, die aktiv werden, sobald die Temperaturen im Keller nach den kalten Wintern allmählich steigen.

Herausforderungen und moderne Lösungen

Die spontane Aktivität von Bakterien birgt jedoch auch Risiken. Forschungsarbeiten ergaben, dass 63 verschiedene Stämme von Milchsäurebakterien aus Blättern und Trauben isoliert werden können. Ein unsachgemäßer biologischer Säureabbau kann zu unerwünschten Fehltönen führen, wie dem berüchtigten "Essigstich" oder einer ungewollten "Sauerkrautnote". Um diesen Risiken vorzubeugen, setzen Winzer heute auf geprüfte Reinzuchtkulturen. Diese Kulturen haben einen bekannten Stoffwechsel und produzieren weniger problematische Nebenprodukte.

Die Stillen Helden der Weinstilistik: Milchsäurebakterien

Die Bedeutung der Milchsäurebakterien für moderne Weine ist unumstritten. Kaum ein Rotwein weltweit entsteht heute ohne den natürlichen Prozess des biologischen Säureabbaus. Ob Bordeaux, Burgunder, australischer Shiraz oder kalifornischer Cabernet – diese winzigen Mikroorganismen tragen maßgeblich zur Verfeinerung und Entwicklung dieser Weine bei.

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REDAKTIONSTEAM
Das Redaktionsteam des Wein Magazins besteht aus den Mitarbeitern des Hanseatischen Wein & Sekt Kontors, die in den unterschiedlichsten Bereichen tätig sind. Hier schreiben Wein-Einkäufer, Mitarbeiter des Marketings und studierte Oenologen. Aber auch Kolleginnen und Kollegen, die einfach 
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